Sie war erschöpft, doch gleichzeitig spürte sie eine tiefe, stille Ruhe, die ihr Inneres sanft umschlang, wie von langsam herabsinkenden Nebelschwaden umhüllt. Schrille Stimmen der Verzweiflung, der Mutlosigkeit beruhigten sich und verhallten langsam unter der weißgrauen Nebeldecke. Das Gefühl der Ruhe war sehr angenehm; sie musste nicht länger kämpfen, um die Stimmen ihrer Verzweiflung zu unterdrücken, sie zu beschwichtigen. Sie blickte nach oben und sah ein Stück blauen Himmel. Sie wusste, dass die Zeit gekommen war, alles loszulassen, weil sie keine Kraft mehr hatte, nach dem richtigen Weg zu suchen. Sie wollte doch nur glücklich sein, das war alles. Sie verbrachte unendlich viel Zeit damit, sich Möglichkeiten, die dazu führen könnten, endlich glücklich zu sein, im Geiste vorzustellen und sie bis ins kleinste Detail auszumalen. Doch es ist wahr: Seit wann wissen die Menschen, was sie wirklich glücklich macht? Diese Frage setzte sich damals in ihrem Gedächtnis fest, als sie sich einmal einen Film ansah, weil sie gerade nichts Besseres zu tun hatte. Sie wollte den Weg zu ihrem Glück bis jetzt immer selbst festlegen, jeden Schritt kontrollieren. Sie stellte sich jedes Mal vor, wie dieser Weg auszusehen hat, damit er sie zu ihrem Glück führte. Und natürlich hatte dieser Weg etwas mit Liebe zu tun. Die Liebe, die doch jeden Menschen glücklich machen sollte ... Sie wollte die Umstände selbst bestimmen, die ihr das ersehnte Glück bringen sollten, sie glaubte immer zu wissen, wie sie glücklich sein konnte. Doch jedes Ziel, das sie erreichte, brachte ihr auf Dauer kein Glücksgefühl. Anfangs noch Euphorie und Begeisterung, doch das Strahlen ließ allmählich nach, der Lack begann abzusplittern. Bis alles matt und farblos wurde. Bis immer mehr Details in Erscheinung traten, die sie nicht einkalkulierte, nicht in Betracht zog. Sie ermahnte sich zur Dankbarkeit, doch die Details, die sie störten, verdichteten sich immer mehr. Auch mit gutem Willen konnte sie diese nicht verdrängen - sie waren immer präsent, sie sprangen ihr jeden Tag förmlich ins Auge. Sie nervten.
An manchen Tagen spürte sie, wie die Verzweiflung tief in ihrem Inneren brodelte. Ein Vulkan, der sich kurz vor dem Ausbruch befand und dessen gewaltige Explosion zu verhindern, ihr viel Kraft kostete. Doch sie dachte, dass sie schließlich dankbar dafür sein sollte, ihr Ziel erreicht zu haben und dass sich ihre Umstände mit jeder neuen Beziehung, auf die sie sich einließ, indem sie ihr Herz für die Liebe öffnete, verbesserten. Dafür, dass sie keine existenziellen Sorgen zu haben brauchte. Doch sie strebte nach Perfektion, sie wollte, dass ihre Umstände bis ins kleinste Detail ihren Vorstellungen entsprachen. Sie wollte eine perfekte Wunscherfüllung. Wieso schaffte sie es nicht über ein gelungenes Gerüst hinaus? Wieso musste sie bei den Details immer wieder Kompromisse eingehen, sich mit Dingen abfinden, die so in ihrem ursprünglichem Plan nicht vorkamen und für Missmut sorgten? Würde sie es überhaupt jemals schaffen, wirklich alle Details zu berücksichtigen, wenn sie sich eine glückliche Beziehung wünschte? Irgendwann tauchte immer wieder etwas auf, einige Details, die sie nicht bedachte, die sie sich so nicht gewünscht hatte. Es waren bestimme Einzelheiten, die sich ihrer Kontrolle entzogen, weil sie ihr damals gar nicht in den Sinn kamen. Es war ermüdend, sich jedes Mal eine Enttäuschung, gar ein Irrtum eingestehen zu müssen und zu spüren, wie diese ärgerlichen Details, die sie seinerzeit in ihrer Imagination nicht mit einbezog, sich darüber keine Gedanken machte, wie sie sein sollten, ihre Unzufriedenheit Tag für Tag nährten. Die Schönfärberei nutzte nichts, weil sie jeden Tag mit einigen unerwünschten Einzelheiten, die sie entmutigten, konfrontiert war. Das Gefühl des Versagens drängte sich auf, das Gefühl, nichts an die Reihe zu kriegen, zumindest nicht so, wie sie es sich vorstellte und wünschte. Sie wusste einfach nicht mehr weiter, ja, sie wusste nicht einmal mehr, was sie wirklich glücklich machen würde. Sie stellte ihre Existenz, ihre Lebensart infrage und sie verwarf alle ihre Wünsche, die nach eigenem Ermessen das ersehnte Glück für sie bringen würden. Wie soll sie mit Sicherheit wissen, ob sie mit diesen Wünschen überhaupt richtig lag? Würde dann alles wirklich besser werden, ohne all die nervenden Details? Oder hat sie vielleicht wieder auf irgendwelche kleine, doch wichtige Einzelheiten vergessen, sie nicht vorher bedacht? Ach, zum Teufel mit den Details, dachte sie. Sie schwor sich, sich nie wieder auf sie einzulassen, sich nie wieder derart zu verzetteln. Zum Teufel mit der ewigen Kontrolle, mit den haargenauen Imaginationen. Es ist einfach zu anstrengend, wenn man wirklich an alles denken und jedes Detail berücksichtigen will, bevor man sich auf etwas Neues einlässt. Sie hat einen Punkt erreicht, wo es nicht mehr weiterging und auch kein zurück mehr gab. Der Punkt, an dem sie alles loslassen und über Bord werfen musste, um sich selbst die Chance geben zu können, endlich ihr Glück zu finden. An diesem Punkt begriff sie, dass sie alles, wirklich alles, was sie sich jemals wünschte auf einen einzigen Wunsch, ein einziges Ziel reduzieren musste: Sie wollte einfach glücklich sein. Alle Pläne ihres Verstandes erschienen ihr auf einmal wertlos, unbrauchbar, sogar lächerlich, sie fühlte sich ausgetrickst. In dem Unerwarteten liegt das wahre Glück verborgen. Das Unerwartete, das sich nicht planen lässt, das man sich nicht mal vorstellen kann. Es ist etwas, womit man die ganze Zeit über nicht gerechnet hat - das ist das Geheimnis des Glücks. Das Geheimnis, dem man vertrauen muss, wenn man glücklich sein will. © Schreibgefühl Comments are closed.
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Es ist entscheidend, in allen Dingen des Lebens das Positive zu betrachten und den Blick auf das Schöne zu richten.
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February 2014
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